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Reise nach Israel und die Palästinensischen Gebiete

Das war eine intensive, erkenntnisreiche und bewegende Reise nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete. Gemeinsam mit unserem außenpolitischen Sprecher Jürgen Trittin war ich fast zeitgleich nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe von Samstag bis Mittwoch letzte Woche in Tel Aviv, Jerusalem, Hebron, Susya und Ramallah. All das wird mir noch lange nachgehen und das wird ein Beitrag, der mal wieder sehr lang ist. Ein kleiner Reisebericht hier, der sehr persönlich ist und vielleicht mehr nachdenkliche Fragen als einfache Antworten teilen will.

Wir haben viele beeindruckende Menschen aus Politik, Zivilgesellschaft, Diplomatie, Wissenschaft und Think Tanks getroffen und mindestens genauso viele Perspektiven auf die großen und kleinen Fragen der Region in all ihrer komplizierten Komplexität erlebt. Vieles ist schwierig zu lösen, manches widersprüchlich, manches schwer auszuhalten und doch gibt es so viele Menschen, die auch hier trotz all der Herausforderung daran arbeiten, dass auf diesem geographisch kleinen und doch politisch und historisch so bedeutenden Flecken Erde ein sicheres Leben in Frieden, Freiheit, Vielfalt, in Demokratie und mit gleichen Rechten für alle Menschen möglich wird. Sie gilt es zu unterstützen.

Und nicht wegzuschauen, weil die Situation vermeintlich so verfahren oder aussichtslos ist. Viel zu sehr beschäftigen wir uns mit der Region nur dann, wenn die Gewalt in größerem Ausmaß eskaliert. Mehr denn je ist für mich nach dieser Reise klar, dass wir mehr hinschauen, mehr diskutieren, uns mehr informieren, mehr nach Lösungen und Partner*innen suchen müssen. Deshalb ist es auch genau die richtige Zeit, um das Kleeblattformat mit Frankreich, Jordanien und Ägypten (auch bekannt als Munich Group), das sich kürzlich bei Annalena Baerbock in Berlin getroffen hat, wiederzubeleben. Und nach der Reise und meinen Eindrücken von vor Ort kann ich das Buch von Meron Mendel „Über Israel reden“ nur umso mehr mit seinem Aufruf zu mehr Empathie und Differenziertheit empfehlen.

Natürlich haben wir mit fast allen Gesprächspartner*innen über die wochenlangen, großen und politisch breit getragenen Proteste der Zivilgesellschaft in Israel gegen das Vorhaben der Regierung gesprochen, die Befugnisse der Justiz und des Obersten Gerichts massiv zu beschneiden und den Einfluss des Parlaments und des Ministerpräsidenten auf das Justizsystem zu erhöhen. Die Kritiker*innen sehen die Pläne als Gefahr für die Demokratie in Israel an und immer wieder wurde deutlich, wie sehr und auf wie vielen verschiedenen Ebenen diese Frage auch mit dem Konflikt und der Frage von gleichen Rechten zusammenhängt. Dass aber solche friedlichen Proteste, die vorerst die Rücknahme des Gesetzespaketes erreicht haben, so möglich sind, ist für mich Ausdruck einer starken und lebendigen Demokratie.

So viele Gefühle und einzelne Geschichten beim Besuch in Yad Vashem, wo der verzweifelte Brief einer Mutter gezeigt wird, die dieses Papier unter den unmenschlichen Bedingungen aus dem Eisenbahnwagon nach Auschwitz rausgeschmuggelt hat. Sie fleht darum, dass jemand ihren zweijährigen Sohn rettet, von dem sie gewaltsam getrennt wurde. Nach der Shoa, den unvergleichlichen und schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, hat Deutschland meiner tiefsten Überzeugung nach eine besondere Verantwortung. Für die Sicherheit Israels und jüdischen Lebens. Für den Kampf gegen Antisemitismus, überall und jeden Tag. Never forget. Never again.

Nach diesem bewegenden Besuch konnten wir mit politisch sehr unterschiedlichen Kolleg*innen aus der Knesset, dem Herz der israelischen Demokratie, sprechen. Das war ein sehr wertvoller und bereichernder Austausch für mich.

Aber auch die menschenleere Straße in Hebron, die früher voll von Leben und Handel war, werde ich nicht vergessen. Angst vor Gewalt und Terrorattentaten. Angst vor Willkür. Die Kinder auf der einen Seite, die nicht mehr ohne Kontrollen und riesige Umwege ihre Freund*innen auf der anderen Seite besuchen können. Aber auch die Kinder der Siedler*innen, die in dieser nun zutiefst trostlosen Straße aufwachsen und zur Schule gehen. Der Junge, der seinen Onkel verloren hat, weil es sechs Anrufe brauchte und am Ende der Krankenwagen nicht durch die gesperrten Straßen und Checkpoints kam.

Wie kann für alle Menschen hier ein Leben frei von Bedrohung, Gewalt und Repression in Frieden, Sicherheit und Würde gelingen? Gibt es noch eine realistische Chance für die Zwei-Staaten-Lösung und welche Alternativen gäbe es, falls nicht? Wie geht es weiter mit dem Vorhaben der israelischen Regierung und welche grundsätzlichen Fragen nach Demokratie und Menschenrechten treiben die Menschen, die dagegen seit Wochen protestieren, um? Warum sind so viele junge Menschen in den Palästinensischen Gebieten so enttäuscht von ihrer eigenen politischen Vertretung? Wieso passiert hier so wenig gegen Korruption und was tut sie, um effektiv Gewalt und Terror zu unterbinden? Welche Defizite im Menschenrechtsbereich gibt es gegenüber der eigenen Bevölkerung und wann werden die seit Jahren ausstehenden Wahlen endlich durchgeführt? Wie sieht die Lebenssituation der Menschen in den Palästinensischen Gebieten konkret aus, welche Folgen hat der völkerrechtswidrige Siedlungsbau und wer profitiert davon? Wie ist die außenpolitische Situation mit den Nachbarstaaten und wie groß ist die Bedrohung durch den Iran und seine Proxys gegenüber Israel? Was können wir tun, um Israels Sicherheit angesichts der Bedrohungen zu stärken und belastbare Verbesserungen mit den Nachbarstaaten auf den Weg zu bringen? Und das sind nur einige der Fragen, die uns auf der Reise beschäftigt haben und weiter beschäftigen werden…