Agnieszka Brugger agnieszka-brugger.de

Reden und Videos

Jahresabrüstungsbericht 2010

 

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Abrüstungspolitik muss ein Grundpfeiler deutscher Außenpolitik sein.

Denn weniger Rüstung und mehr vertrauensbildende Rüstungskontrolle bedeuten mehr Frieden und Sicherheit für alle.

Herr Minister Westerwelle, Sie betonen hier im Bundestag immer wieder, wie wichtig Ihnen Abrüstung ist. Das klingt gut. Sie hätten uns Grüne und wahrscheinlich das ganze Parlament an Ihrer Seite, wenn Sie Ihre Versprechen wahrmachen würden. Sie ziehen aber immer mit großen Worten davon und kommen dann mit leeren Händen wieder.

Ihre Außenpolitik lässt eine klare Linie vermissen. Ihr Zickzackkurs in Bezug auf Libyen ist dafür wieder einmal bezeichnend.

Zuerst sagten Sie generell Nein zu einem militärischen Einsatz in Libyen.

Dann sagten Sie, dass Sie sich auch nicht am Waffenembargo beteiligen und die deutschen Schiffe abziehen. Jetzt sagen Sie: Bei EUFOR Libya sind wir mit dabei. Man hat das Gefühl, Ihnen fehlt der Kompass und Sie werfen eine Münze, wenn es darum geht, zu entscheiden, an welchem Einsatz man sich beteiligt und an welchem nicht. Es gibt kein Wertefundament, keine Begründungen und keine einheitliche Linie.

Abrüstungspolitik funktioniert nur dann, wenn sie umfassend, konsequent und ehrlich ist. Ihre Abrüstungspolitik ist in zentralen Punkten reduziert, inkonsequent und halbherzig. Gegenüber grundlegenden Zusammenhängen scheinen Sie oftmals blind zu sein. Sie denken nicht zusammen, was zusammengehört. Das hat schwerwiegende Folgen, wie ich Ihnen mit Blick auf mehrere Bereiche aufzeigen möchte.

Bei der Umsetzung von internationalen Abrüstungsverträgen ist es geboten, umfassende Maßnahmen zu treffen, um geächtete Waffen effektiv aus dem Verkehr zu ziehen. Mit dem Inkrafttreten des Abkommens zum Verbot von Antipersonenminen und des Übereinkommens über Streumunition wurden für die weltweite Ächtung dieser barbarischen Waffen wichtige Fortschritte erzielt.

Trotz dieser großen Erfolge werden diese Waffen jedoch weiter in vielen Ländern produziert und eingesetzt. Sie töten und verstümmeln Menschen auf grausame Weise und treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Viele Unterzeichnerstaaten haben diese Verträge leider noch nicht ratifiziert, Deutschland zum Glück schon.

Aber mit Halbherzigkeit ist ein umfassendes Verbot von Landminen und Streumunition nicht zu verwirklichen. Und um effektiv und konsequent den Einsatz, die Lagerung, die Herstellung, die Entwicklung und den Handel dieser Waffen zu verhindern, muss in allen relevanten Bereichen dafür Sorge getragen werden, dass das Verbot dieser Waffen nicht untergraben wird.

Zu einem universellen und wirksamen Verbot gehört deshalb zwingend auch das Verbot von Investitionen in Unternehmen, die diese grausamen Waffen herstellen.

Doch in Deutschland darf weiterhin munter in die Produktion dieser barbarischen Waffen investiert werden. Wer zum Beispiel in Deutschland eine Riester-Rente hat, muss damit rechnen, dass das angelegte Geld in Streumunition investiert wird. Denn die Produkte der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge werden überhaupt nicht daraufhin überprüft, ob ethische Mindeststandards eingehalten werden. Die Bundesregierung scheint es gar nicht zu interessieren, ob mit Steuergeldern Unternehmen unterstützt werden, die diese geächteten Waffen herstellen und entwickeln. Dadurch wird das Verbot von Antipersonenminen und Streumunition zugunsten der wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie und des Finanzsektors ausgehöhlt.

Herr Minister, hier ist kein Herz für Banken und Investmentfonds gefragt, sondern ein beherztes Eintreten für ein Investitionsverbot in Unternehmen, die völkerrechtswidrige Waffen entwickeln und herstellen.

Deutschland sollte dem Beispiel Belgiens, Luxemburgs, Norwegens oder Neuseelands folgen und diese Investitionen generell gesetzlich untersagen. Denn zu einem Verbot des Einsatzes und der Produktion gehört unweigerlich auch ein Verbot, damit Profit zu machen. Beides muss zusammengedacht werden.

Deshalb legen wir Grüne heute einen Antrag für ein umfassendes Investitionsverbot in Streumunition und Landminen vor. Wir laden deshalb heute auch alle Fraktionen zur Zusammenarbeit ein, um endlich Investitionen in diese Waffen gesetzlich zu verbieten und die steuerliche Förderung zu beenden.

Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr stand die nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung an oberster Stelle auf der abrüstungspolitischen Agenda. Im Koalitionsvertrag wurde vollmundig versprochen, dass sich die Bundesregierung für den Abzug der in Deutschland stationierten amerikanischen Atomwaffen einsetzt. Die breite Mehrheit dieses Hauses hat bei der Debatte zum Jahresabrüstungsbericht im vergangenen Jahr mit einem historischen Antrag, der von CDU/CSU, SPD, FDP und uns Grünen gemeinsam erarbeitet wurde, die Bundesregierung dazu aufgefordert, dieses Versprechen auch einzulösen.

Herr Minister, ich darf Sie daran erinnern: Dieser Beschluss des Bundestages ist keine unverbindliche Handlungsempfehlung. Wir sind in dieser Frage aber leider keinen Schritt weitergekommen. Innerhalb der NATO konnte die Bundesregierung keine nennenswerten abrüstungspolitischen Erfolge erzielen. Sie sind daran gescheitert, die Reduzierung der US-Atomwaffen in Europa im neuen strategischen Konzept der Allianz zu verankern.

Stattdessen weitet die Bundesregierung ihre Verzögerungstaktik aus und koppelt die Frage des Abzugs der US-Atomwaffen aus Deutschland an Zugeständnisse Russlands im substrategischen Bereich. Damit verschieben Sie den Abzug der US-Atomwaffen absichtlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Diese kurzsichtige Politik lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Wirkliche Fortschritte werden wir außerdem nur schaffen, wenn wir atomare Abrüstung und den Atomausstieg zusammendenken. Denn es gibt einen höchst problematischen Zusammenhang zwischen atomarer Aufrüstung und der zunehmenden Ausbreitung der zivilen Nutzung von Atomenergie. Wer davor die Augen verschließt, denkt eben nicht zu Ende und nicht an das Ganze. Durch die zivile Nutzung erwerben immer mehr Staaten die Fähigkeit zum Aufbau militärischer Nuklearprogramme. Wir alle wissen: Die Nutzung der Atomkraft ist mit unverantwortlichen ökologischen und sicherheitspolitischen Risiken verbunden. Die furchtbare Katastrophe in Fukushima fordert auch international ein fundamentales Umdenken.

Allerdings unterliegen noch immer viele Entwicklungsländer und aufstrebende Staaten dem Irrglauben, Atomenergie sei das Wundermittel für eine sichere Energieversorgung. Dafür sind schon auch die Atommächte verantwortlich, die jahrelang statt ihren Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen, allen Nichtkernwaffenstaaten die zivile Nutzung schmackhaft gemacht haben. Dieser Trend muss dringend aufgehalten werden.

Deutschland muss nicht nur schnellstmöglich aus der Atomenergie aussteigen, sondern auch weltweit dafür werben. Schwarz-Gelb stellt sich hier blind und hält an der fahrlässigen Förderung deutscher Atomexporte fest. Mit Blick auf Indien, das wie kaum ein anderes Land Atomkraftwerke aus dem Boden stampfen will und als Absatzmarkt für die deutsche Industrie lockt, scheinen Sie sogar bereit, alle sicherheitspolitischen Bedenken über Bord zu werfen. Die Brückentechnologie-Kanzlerin selbst befürwortet den nukleartechnologischen Brückenschlag zum Atomwaffenstaat Indien. Dabei erlaubt das nukleare Nichtverbreitungsregime den Handel von Nukleartechnologie und Nuklearmaterial nur unter sehr strengen Auflagen.

Deutschland ist Mitglied der Gruppe der nuklearen Lieferstaaten, der sogenannten Nuclear Suppliers Group, und hat hier, wie jedes andere Mitglied, ein Vetorecht. Schon im September 2008 haben die Lieferstaaten unter deutschem Vorsitz die fatale Entscheidung getroffen, für den Nuklearhandel mit Indien eine Ausnahme zu machen. Das haben damals nicht nur wir Grüne, sondern auch die FDP zu Recht sehr scharf kritisiert.

Heute ist sogar im Gespräch, Indien in die Nuclear Suppliers Group aufzunehmen und damit den nuklearen Dammbruch endgültig zu besiegeln. Auf unsere Frage hin, wie man zur Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group steht, windet sich die Bundesregierung heraus. Ich fordere Sie auf, hier endlich Farbe zu bekennen!.

Wenn Sie mit einem Veto nicht Nein zur Aufnahme von Indien sagen, dann sagen Sie Ja zu einem verstärkten Handel von Nukleartechnologie mit einem Staat, der nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrages ist und dessen Atomanlagen nicht unter dauerhafter Aussicht der Internationalen Atomenergie-Organisation stehen. Wenn Sie nicht Nein zur Aufnahme Indiens in die Nuclear Suppliers Group sagen, dann bleibt auch all Ihre Freude über den Erfolg der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im letzten Jahr letztendlich einfach nur scheinheilig. Die Bundesregierung ist dann auch verantwortlich dafür, dass der Atomwaffensperrvertrag komplett ausgehebelt wird.

Mit unserem zweiten grünen Antrag, den wir heute hier vorlegen, erteilen wir deshalb dem Nuklearhandel mit Indien eine entschiedene Absage und stellen uns gegen diese nach kurzsichtigem Profit ausgerichtete Politik. Angesichts der enormen ökologischen und sicherheitspolitischen Risiken gibt es für uns nur eine Lösung: den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland schnellstmöglich zu vollziehen und international voranzutreiben. Als eines der technologisch fortschrittlichsten Länder kann Deutschland bei dieser Überzeugungsarbeit eine sehr wichtige Rolle spielen, wenn es selbst zügig und konsequent aus der Atomenergie aussteigt.

Ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich der weltweiten Energieversorgung anzustoßen und andere Länder durch alternative und ökologische Energiegewinnung in ihrem Streben nach Energiesicherheit zu unterstützen - das könnte der wertvollste Beitrag Deutschlands zu einer atomwaffenfreien Welt sein.

Zusammendenken, was zusammengehört! Ich empfehle Ihnen, sowohl in der Energiepolitik als auch in der Abrüstungspolitik die Denkblockaden zu durchbrechen. Falls Sie dazu Denkanstöße brauchen: In beiden Fällen sind Sie bei uns, wie immer, gut beraten.

Vielen Dank.