Agnieszka Brugger agnieszka-brugger.de

Reden und Videos

Neues Strategiekonzept der NATO

11.11.2010

Rede während der Bundestagsdebatte zum neuen Strategiekonzept der NATO

 

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Lieber Kollege Mißfelder, es ist ein unwürdiger Vorgang, dass nur zehn Parlamentarier das Strategische Konzept einsehen können, sodass man in einer Runde das Ratespiel betreiben muss: "Steht denn darin, dass …?" Das ist auch für eine Organisation unwürdig, die sich Transparenz und Öffentlichkeit groß auf die Fahnen schreibt.

Herr Außenminister Westerwelle, mangels anderer außenpolitischer Akzente haben Sie vollmundig das sympathieträchtige Thema Abrüstung zu Ihrem persönlichen Steckenpferd gemacht. Nach den Luftsprüngen wegen Deutschlands Sitz im UN-Sicherheitsrat hätten Sie nun in der NATO belegen können, dass Sie internationale Politik beherrschen und Ihr Eintreten für Abrüstung nicht nur eine Luftnummer ist. Was zu befürchten war, ist eingetreten: Schwarz-Gelb hat den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland im Koalitionsvertrag absichtlich an die Verhandlungen in der NATO gekoppelt, um danach mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Herr Westerwelle, der Deutsche Bundestag hat Sie in großer Einigkeit damit beauftragt, sich in der NATO für nukleare Abrüstung und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. Bei der Erfüllung dieses Auftrags sind Sie gnadenlos gescheitert.

Mit einem Angebot zum Kuhhandel erschienen Sie in seltener Eintracht mit Ihrem Kabinettskollegen zu Guttenberg beim Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedstaaten im Oktober. Ihr plumper Deal war: Deutschland unterstützt jetzt doch das Raketenabwehrsystem und erhält im Gegenzug Zugeständnisse bei der nuklearen Abrüstung. – Doch die schallende Ohrfeige ließ nicht lange auf sich warten. Gleich nach der Konferenz erklärte der amerikanische Verteidigungsminister Gates, dass Raketenabwehr gar nichts mit Abrüstung zu tun hat. Eine deutlichere Abfuhr kann man sich nicht holen.

Das Ergebnis ist: Die US-Atomwaffen bleiben in Deutschland, und die Bundesregierung vergibt einen Blankoscheck für ein Raketenabwehrsystem, von dem niemand weiß, wie teuer es wird, ob es überhaupt funktioniert und wer am Ende die Befugnis für die Entscheidung hat, wann es zum Einsatz kommt.

Der NATO-Generalsekretär Rasmussen wirbt mit einer Schnäppchenrechnung, nach der das Raketenabwehrsystem nur 200 Millionen Euro kosten würde. Dafür erntet er sogar von den Befürwortern dieses Systems nur Gelächter. Experten rechnen mit Gesamtkosten in Milliardenhöhe. Dem Verteidigungsminister, dem das Sparen sonst so wichtig ist, fiel zu dieser Sache nichts Besseres ein, als Ja dazu zu sagen und gleichzeitig sein vorauseilendes Misstrauen gegenüber den Zahlen zum Ausdruck zu bringen. Das Tragische an dieser Entscheidung ist: Ein solches Raketenabwehrsystem birgt in der jetzigen Situation, in einer Zeit, in der die globale Machtverteilung durch aufstrebende Mächte neu bestimmt wird, die Gefahr einer weltweiten Aufrüstungsspirale. Raketenabwehr täuscht in einer hochgerüsteten Welt über die Notwendigkeit von Abrüstung und Rüstungskontrolle hinweg.

Wir fordern Sie daher auf: Ziehen Sie Ihre Zustimmung zum Raketenabwehrsystem auf dem NATO-Gipfel in der nächsten Woche zurück.

Auch ich war vorauseilend misstrauisch, was den abrüstungspolitischen Willen dieser Bundesregierung anbelangt. Nach einem Jahr kann ich sagen: völlig zu Recht. Atomraketen trotz Raketenabwehrsystem, das ist die Formel für die doppelte Pleite von Schwarz-Gelb in der Abrüstungspolitik und in der NATO.

Vielen Dank.