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Rede zum RSM-Mandat

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

 

Uns alle hier verbindet trotz großer Kontroversen der Gedanke, dass wir für die Menschen in Afghanistan eine besondere Verantwortung tragen und sie nicht alleine lassen dürfen. Daher plädiert hier auch niemand dafür, den zivilen und politischen Wiederaufbau oder die Entwicklungszusammenarbeit einzuschränken oder gar zu beenden, und das ist gut und richtig so.

 

Trotz der zahlreichen schlechten Nachrichten aus dem vergangenen Jahr gibt es auch positive Entwicklungen in Afghanistan. Beispielsweise wäre ohne die jahrelange internationale Unterstützung für viele junge Menschen in Afghanistan, insbesondere für Mädchen, der Zugang zu Bildung nicht möglich. Immer wieder erreichen mich Geschichten, dass auch in Regionen, wo die Taliban wieder stärker werden, die Schulen wegen des Engagements mutiger Menschen vor Ort geöffnet bleiben. Diesen Fortschritt können auch rückwärtsgewandte Taliban nicht mehr zerstören.

 

So gibt es mittlerweile eine ziemlich große Gruppe von jungen, gut ausgebildeten Menschen, die trotz aller Rückschläge daran glauben und vor allem dafür arbeiten, dass ihr Land eine bessere Zukunft haben soll. Sie sind nicht nur die Hoffnung Afghanistans, sondern auch unsere wichtigsten Partner.

 

Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage hat sich im letzten Jahr nicht zum Besseren entwickelt. Die Taliban und andere aufständische Gruppen verüben weiter ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame Attentate und Attacken. Sie schlagen gezielt zu in Kunduz, in Kabul, in Kandahar. Es ist in den letzten 14 Jahren nicht gelungen, die Taliban militärisch zu besiegen, auch nicht mit immer mehr NATO-Soldaten und immer offensiveren Strategien. Im Gegenteil: Dieses Ziel konnte durch den Kampfeinsatz in Afghanistan nicht erreicht werden. Er war sogar in einigen Punkten kontraproduktiv. Da denke ich vor allem an die zahlreichen Luftangriffe, Drohnenschläge und Night-Raids der US-Streitkräfte, denen auch Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Daher war es richtig, dass die NATO beschlossen hat, den ISAF-Einsatz in Afghanistan zu beenden.

 

Während die Bundesregierung beteuert, dass die Nachfolgemission Resolute Support doch nur eine Ausbildungsmission ist, gibt es für die USA diesen Unterschied nicht. Ursprünglich sollte diese Mission im kommenden Jahr nur noch in Kabul stattfinden und danach beendet werden. Diese Pläne sind nun mit dem neuen Mandat hinfällig. Die Bundeswehr soll auch im nächsten Jahr im Norden bleiben; es sollen wieder mehr deutsche Soldatinnen und Soldaten sein. Der vollständige Abzug ist nicht mehr in Sicht und wird auf eine ferne Zukunft vertagt.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie empört Sie vor einem Jahr waren, als wir Grüne gesagt haben, dass Sie länger in Afghanistan bleiben wollen. Nun verteidigen Sie im Brustton der Überzeugung, dass es richtig ist, diesen Militäreinsatz auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Auf die Frage aber, wie lange denn insgesamt die Mission dauern soll und anhand welcher Ziele und Kriterien Sie sie zum Ende und zum Erfolg bringen wollen, hat niemand von Ihnen eine Antwort. Diese Unklarheit birgt Gefahren für die Zukunft.

 

Die öffentliche Debatte, dass es wieder zurück zum aktiven Kampf gehen müsse, hat schon längst begonnen. Zwar beteuert die Bundesregierung, dass sie das nicht machen will und wird. Aber Sie verändern schon jetzt das Mandat in diese Richtung, indem die Bundeswehr die afghanische Armee bei Operationen stärker begleiten soll. Wahrscheinlich sind Sie jetzt wieder empört, wenn wir Grünen sagen, dass hier ein gefährlicher Rutschbahneffekt droht. Aber woher soll ich den Glauben nehmen, dass es auch hier nicht wieder anders kommt, als Sie es uns heute versichern?

 

Sie versuchen auch, uns und der Öffentlichkeit weiszumachen, dass die etwas intensivere und längere Ausbildung der Sicherheitskräfte sich unmittelbar positiv auf die Sicherheitslage auswirken würde. Das ist aber eine Illusion; denn die Wirkung hier unterstelle ich den bestmöglichen Fall ist doch höchstens langfristig und begrenzt.

 

Meine Damen und Herren, groß war die Hoffnung nach den erfolgreichen Wahlen im letzten Jahr. Umso schwerer wiegt nun die Enttäuschung bei den Menschen in Afghanistan über ihre Regierung. Statt den Afghaninnen und Afghanen wirtschaftliche Perspektiven zu geben, statt für mehr Sicherheit zu sorgen, statt den Verhandlungsprozess mit den bewaffneten Gruppen voranzutreiben, statt endlich einen besseren Staat aufzubauen, treiben die Akteure das alte Spiel der Machtkämpfe, der Klientelpolitik und der Korruption weiter. Diese Art der schlechten Regierungsführung ist seit Jahrzehnten eines der zentralen Probleme und auch ein Grund, warum die Situation heute so düster ist.

 

Es ist doch höchste Zeit, dass sich diese Regierung endlich zum Wohle der Menschen in Afghanistan zusammenrauft, anstatt immer nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Auch hier, meine Damen und Herren, muss man sich die Frage stellen: Wie kann unter solchen Bedingungen Ihr militärisches Engagement zum Erfolg führen?

 

Das alles sind einige der Gründe, weshalb wir Grüne dem vorgelegten Mandat mehrheitlich nicht zustimmen werden. Sie wissen aber, es ist für meine Fraktion immer eine schwierige und emotionale Frage in den letzten Jahren gewesen. Dieses Mal hat sich eine größere Gruppe in unserer Fraktion entschieden, in der Sache Ja zu sagen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, auf der einen Seite wollen Sie diesen Einsatz auf unbestimmte Zeit verlängern mit der Begründung, dass die Sicherheitslage in Afghanistan so schlecht ist. Auf der anderen Seite allerdings schwadroniert man kann das nicht anders nennen Ihr Kanzleramtsminister Altmaier von angeblich sicheren Zonen in Afghanistan, in die Sie dann Flüchtlinge aus Deutschland so schnell wie möglich abschieben wollen. Wo diese Zonen sind und wer sie sichern soll, bleibt dabei sein persönliches Geheimnis. Das passt nicht nur vorne und hinten nicht zusammen, sondern das ist höchst zynisch.

 

Vielleicht ist die Wahrheit am Ende so bitter wie traurig: Wir können keinen absoluten Frieden in Afghanistan schaffen. Wir können die Konflikte dort mit einem Militäreinsatz nicht lösen.

 

Vielleicht ist doch der wertvollste Beitrag neben der Wiederaufbauhilfe, dass wir in Deutschland den Menschen, die in Afghanistan wegen Gewalt und Perspektivlosigkeit keine Zukunft mehr haben, hier ein neues zu Hause schenken können.

 

Vielen Dank.