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Rede zur Mandatsverlängerung Active Fence Turkey

 

 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

 

Nach wie vor nehmen wir die Sorge der Türkei ernst, dass sich der schreckliche Krieg in Syrien auch auf das türkische Territorium ausweiten könnte. Wie zu Beginn der Operation Active Fence vor einem Jahr gilt es nun, die Bitte der Türkei, dort Patriot-Abwehrraketen zu stationieren, erneut sorgfältig zu prüfen.

 

Dabei kann der bloße Verweis auf die Bündnissolidarität mit dem NATO-Partner allerdings nicht automatisch einen Bundeswehreinsatz rechtfertigen. Vor einem Jahr haben wir Grüne die Diskussion um das Mandat kritisch begleitet. Wir haben einige Bedingungen formuliert, die aus unserer Sicht erfüllt sein müssen, um zu verhindern, dass Deutschland und die NATO zu Konfliktparteien im syrischen Krieg werden: Die Patriot-Systeme müssen weit entfernt von der syrischen Grenze aufgestellt sein, und ihre Stationierung darf die innenpolitischen Spannungen in der Türkei nicht befördern. Zudem müssen sie dem Kommando der NATO unterstellt sein, und es dürfen keine Operationen auf oder über syrischem Gebiet stattfinden. Und es muss auch klar ausgeschlossen werden, dass sie zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien genutzt werden können.

Die letzte Bundesregierung ist auf unsere Bedenken und Hinweise eingegangen, und deshalb haben wir Grüne diesem Einsatz mit großer Mehrheit unsere Zustimmung erteilt. Da das nun vorgelegte Mandat in seiner Ausgestaltung mit dem alten identisch ist, sind diese Bedingungen auch weiterhin erfüllt. Damit hat die Stationierung der Patriot-Abwehrsysteme einen rein defensiven Charakter, nämlich den, die Menschen in der Türkei zu schützen.

 

Den Soldatinnen und Soldaten möchte ich auch im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihren Beitrag dazu danken. Sie erfüllen ihre Aufgabe unter nicht immer einfachen Bedingungen.

 

Meine Damen und Herren, die Debatte um das vorliegende Mandat kann man nicht führen, ohne sich mit dem grauenhaften Kriegsgeschehen in Syrien auseinanderzusetzen. Mittlerweile sind mehr als 120 000 Todesopfer in Syrien zu beklagen. Die stetig eskalierende Gewalt, die unfassbaren Gräueltaten, die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen, aber auch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und historischen Kulturstätten erschüttern uns Grüne zutiefst. Besonders grausam und verabscheuungswürdig war dabei der Giftgasanschlag im August.

Durch die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft sollen die syrischen Chemiewaffen nun bis Mitte dieses Jahres vernichtet werden. Auch die Bundesregierung hat sich endlich nach einigem Zögern dazu bereit erklärt, die chemischen Reststoffe hier in Deutschland zu vernichten. Dieses Angebot ist richtig; denn diese Massenvernichtungswaffen müssen so schnell wie möglich unbrauchbar gemacht werden.

 

Doch so wichtig die vereinbarte Zerstörung der syrischen Chemiewaffen auch ist, sie bietet natürlich noch keine wirkliche Antwort auf die dramatische Lage in Syrien, die uns nach wie vor Tag für Tag mit Grauen erfüllt: das barbarische Vorgehen des Assad-Regimes ebenso wie die Gräueltaten der dort erstarkten islamistischen Gruppen.

 

Von einer Lösung dieses blutigen Konflikts sind wir noch weit entfernt. Große Erwartungen richten sich dabei an die nächste Syrienkonferenz in der kommenden Woche. Diese hat allerdings nur dann eine Erfolgschance, wenn alle Konfliktparteien beteiligt und in die Verantwortung genommen werden. Das gilt natürlich für die syrische Opposition in ihrer ganzen Breite. Das gilt aber auch für den Iran, der mit seiner Unterstützung des Assad-Regimes eine verheerende Rolle im syrischen Kriegsgeschehen spielt und gerade deshalb nicht außen vor gelassen werden darf.

 

Meine Damen und Herren, die Türkei und andere Nachbarstaaten wie der Libanon oder Jordanien sind mit der Versorgung der Flüchtlinge extrem überlastet. Die Lage in den Flüchtlingslagern ist äußerst angespannt. Die Notunterbringung und Grundversorgung der Flüchtlinge erweist sich als schier unmöglicher Kraftakt.

 

Die Zahlen sind erschreckend: In Syrien selbst sind circa 6,5 Millionen Menschen auf der Flucht, und in den Nachbarländern wie dem Libanon, Jordanien und der Türkei sind bisher über 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge offiziell registriert; die Hälfte davon sind Kinder. Laut der UN-Organisation für Nothilfe wird sich die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien auf mehr auf 4 Millionen verdoppeln. Die humanitäre Lage wird somit noch desaströser werden.

 

An dieser Stelle geht es um Solidarität und Menschlichkeit. Es geht aber auch um ganz konkrete sicherheitspolitische Notwendigkeiten; denn man braucht wahrlich keine große Fantasie, um sich vorzustellen, dass die katastrophale und angespannte Lage in den Flüchtlingslagern einen neuen Nährboden für Konflikte, Auseinandersetzungen und Radikalisierung bietet.

Immer wieder verweisen die Vereinten Nationen und auch andere Organisationen darauf, dass es zur Versorgung der Notleidenden eines viel größeren finanziellen Engagements bedarf; die Schätzungen belaufen sich dabei auf 6,5 Milliarden Dollar. Als eine der reichsten Industrienationen muss Deutschland hier über den bisherigen Beitrag hinaus eine viel, viel größere Unterstützung leisten.

 

Das gilt ebenso bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Bisher haben nur 1 700 Menschen aus Syrien in Deutschland Zuflucht gefunden. Zugesagt hatte die Bundesregierung die Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen. Das ist eindeutig zu wenig.

 

Es ist allerhöchste Zeit, dass wir der Türkei und auch den anderen Nachbarstaaten Syriens unsere Solidarität in Bezug auf die Flüchtlinge zeigen und nicht nur dann, wenn es um die Stationierung von Patriot-Abwehrraketen geht.

 

Vielen Dank.