Agnieszka Brugger agnieszka-brugger.de

Reden und Videos

Abrüstungspolitik muss konsequent sein

26.03.2010

Rede zur Beratung über den Jahresabrüstungsberichts 2009

 

 

Herr Präsident,

Meine Damen und Herren,

der vorliegende Jahresabrüstungsbericht 2009 zeigt die helle Seite der deutschen Außenpolitik. Doch es gibt auch eine ziemlich düstere: die der deutschen Rüstungsexporte. Den Rüstungsexportbericht legt die Bundesregierung nicht gerne vor. Bisher liegt der Rüstungsexportbericht weder für das Jahr 2009 noch für das Jahr 2008 vor. Das ist ein Skandal.

Bevor ich auf diese dunkle Seite der deutschen Außenpolitik zu sprechen komme, möchte ich mich zunächst einem Lichtblick der deutschen Abrüstungspolitik widmen. Den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Grünen ist es gelungen, sich auf einen gemeinsamen Antrag zur nuklearen Abrüstung zu einigen. Wir Abgeordnete führen in diesem Hohen Hause leidenschaftliche, teilweise erbitterte Debatten zu allen möglichen Themen, und häufig ist das auch gut so. Trotzdem ist es wirklich einmalig, dass sich heute das gesamte Parlament zu einem atomwaffenfreien Deutschland und zu dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekennt.

Die Entstehung des interfraktionellen Antrages kann durchaus als schwierige Geburt bezeichnet werden. Deshalb möchte ich mich bei Frau Zapf, bei Herrn Kiesewetter und bei Frau Hoff, die sich immens bemüht haben, dafür bedanken, dass wir dieses tolle Unterfangen auf die Beine gestellt haben. Mit diesem Antrag ist der Irrglaube aus dem Kalten Krieg, dass Atomwaffen für die Sicherheit unerlässlich sind, endlich aus den Köpfen aller hier verbannt.

Doch für uns ist es nur ein Teilsieg der Vernunft. Dass bei der Ausarbeitung dieses Antrages nicht alle Fraktionen beteiligt wurden, zeigt, dass die ideologischen und parteipolitischen Scheuklappen nicht ganz abgelegt werden konnten. Der Ausschluss der Linken, obwohl in der Sache eigentlich Konsens herrscht, ist aus Sicht der Grünen eine verpasste Chance. Wenn in einer so wichtigen Frage Einigkeit besteht, sollten wir gesamtparlamentarisch Geschlossenheit demonstrieren.

Meine Damen und Herren, die Kanzlerin kann jetzt auf ihrer Reise zum Gipfel in die USA ebenso wie der Außenminister auf seinen Reisen statt einer Kontroverse – das kommt häufig vor – einen Konsens mitnehmen, der Ansporn und Mahnung ist. Abrüstung muss ein Grundpfeiler für die deutsche Außenpolitik im Dienste des Friedens sein. Diese Außenpolitik darf sich nicht verstecken, weder vor den USA noch vor der NATO. Deshalb sollten wir hier nicht zu vorsichtig sein und uns nicht zu sehr wegducken. Sie sind doch auch sonst nicht so kleinlaut, Herr Minister. Vertreten Sie diese Anliegen doch noch offensiver, statt immer nur auf die Bündnisverpflichtungen zu verweisen und die nukleare Abrüstung damit zu verknüpfen.

Wer glaubt, die nukleare Bedrohung habe sich mit dem Ende des Kalten Krieges erledigt und sei nur noch ein gruseliges Kapitel in den Geschichtsbüchern, unterliegt einem gefährlichen Irrtum. Die von Atomwaffen ausgehende Gefahr für den Frieden und die Sicherheit in der Welt hat eine völlig neue, besorgniserregende Qualität erreicht. Derzeit existieren weltweit 23 000 atomare Sprengköpfe, von denen schätzungsweise 11 000 rund um die Uhr abschussbereit sind.

Eine zunehmende Zahl von Staaten ist dabei, ihre nukleare Enthaltsamkeit infrage zu stellen. Der Mythos, dass Atomwaffen ein Potenzmittel für mehr Macht und zugleich eine Immunspritze für mehr Sicherheit sind, verleitet aufstrebende Mächte und jene, die es werden wollen, dazu, ihre Hände nach der vermeintlichen Wunderwaffe auszustrecken. Tonnen von waffenfähigem Nuklearmaterial lagern teilweise an ungesicherten Orten, oft nur geschützt durch Maschendrahtzaun. Mit dem Wachstum von Information und Handel ist heute die Expertise für den Bau von Atomwaffen viel leichter verfügbar als jemals zuvor. Diese Bedrohungsskizze zeigt, dass wir uns keine Versäumnisse leisten können; denn es ist höchste Zeit, zu handeln.

Das starke Votum aus dem Parlament für den Abzug der verbliebenen US-Atomwaffen in Büchel in Rheinland-Pfalz und für eine Stärkung der nuklearen Abrüstung kommt gerade noch rechtzeitig; denn im Mai dieses Jahres findet die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt. Sie darf nicht scheitern wie vor fünf Jahren.

Ein Zusammenbruch des Nichtverbreitungsregimes und der multilateralen Rüstungskontrolle würde ein neues Zeitalter des Rüstungswettlaufes von mehr als nur zwei Großmächten heraufbeschwören. Daher ist es ein großer Schritt nach vorne, dass wir uns heute gemeinsam für klare Vereinbarungen für weltweite nukleare Abrüstung, für Rüstungskontrolle, für vertrauensbildende Maßnahmen und Transparenz aussprechen. Der gemeinsame Antrag enthält wirklich umfassende Forderungen zur Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt.

Für viele dieser Forderungen haben wir Grüne uns schon seit Jahren stark gemacht.

Das Parlament will, dass die Bundesregierung für eine Verstärkung von Rüstungskontrolle und Abrüstung in der NATO eintritt, und zwar offensiv. Wir stimmen für die Offenlegung von Plutoniumbeständen und für die Einrichtung eines Kernwaffenregisters. Der Bundestag setzt sich für das weltweite Inkrafttreten des Atomteststopp-Abkommens ein. Wir erteilen dem Einsatz von Atomwaffen seitens der Atommächte gegenüber Nichtkernwaffenstaaten eine klare Absage.

Dass dieser Forderungskatalog von der Mehrheit dieses Hauses mitgetragen wird, ist ein erstaunlicher Fortschritt. Doch bei allem gerechtfertigten Lob und bei aller gerechtfertigten Freude über diesen Fortschritt dürfen wir uns auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Der interfraktionelle Antrag, so gut er auch ist, kann für uns Grüne als Minimalkonsens nur ein Grundstein sein, auf dem wir weiter aufbauen müssen. Wer den Bauplan kennt, der weiß, dass es darüber hinaus noch viel zu tun gibt.

Ich möchte drei Baustellen nennen, die für uns wesentlich sind:

Die erste Baustelle befindet sich in Deutschland. Wir wollen auf die Beendigung der nuklearen Teilhabe nicht länger warten als nötig. Nukleare Abrüstung beginnt vor der eigenen Haustür. Deutschland kann und sollte sich schon jetzt dafür einsetzen, dass die Ausbildung von Bundeswehrsoldaten und die Bereitstellung von Trägermitteln für den Abwurf von Atomwaffen eingestellt werden, und damit dem Beispiel Kanadas und Griechenlands folgen, die ihrerseits vor Jahren die nukleare Teilhabe beendet haben.

Die zweite Baustelle betrifft die NATO. Auch was die Rolle von Atomwaffen innerhalb der NATO angeht, ist aus grüner Sicht mehr drin. Zur Überwindung einer Politik der nuklearen Abschreckung muss die Ersteinsatzoption für Atomschläge endlich abgeschafft werden. In der neuen NATO-Strategie, die im Herbst dieses Jahres beschlossen wird, muss Abrüstung das Kernprinzip eines Bündnisses werden, das für Frieden und Sicherheit stehen will. Das Bündnis muss sich außerdem in Richtung atomwaffenfreies Europa bewegen und in einem ersten Schritt den Abbau und vor allem auch die Verschrottung aller US-Atomwaffen in Europa einleiten.

Die dritte Baustelle ergibt sich aus der Problematik der doppelten Verwendung von Nuklearmaterial, für die es nur eine grüne Lösung gibt. Die zunehmende Ausbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie steigert auch die nukleare Gefahr, da immer mehr Staaten die Fähigkeiten zum Aufbau militärischer Nuklearprogramme erwerben. Deutschland muss sich national und weltweit für den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie einsetzen und stattdessen die Nutzung erneuerbarer Energien in der Welt fördern. Aber stattdessen fördert die Bundesregierung den Export von Atomtechnologie durch die Vergabe von Hermesbürgschaften wie unlängst für das Atomkraftwerk Angra 3 in Brasilien. Wenn kurzfristiger Profit in Sicht ist und die Atomlobby nach neuen Absatzmärkten lechzt, ist Schwarz-Gelb gegenüber Sicherheitsrisiken blind.

Damit sind wir auch schon bei den düsteren Seiten der deutschen Außenpolitik angelangt. Der vor kurzem erschienene Bericht des renommierten schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI bescheinigt Deutschland einen bitteren Exporterfolg, auf den auch in Zeiten der Weltwirtschaftskrise niemand stolz sein kann. In den vergangenen Jahren verdoppelte die deutsche Rüstungsindustrie ihre Exporte und baute ihren Weltmarktanteil von 6 auf 11 Prozent aus. Das ist ein trauriger Rekord.

Dabei ist nicht nur erschreckend, wie viele Waffen exportiert werden, sondern vor allem auch, wohin sie exportiert werden. Denn die Bundesregierung betreibt ihre offensive Rüstungsexportstrategie auch in Krisenregionen. Eine Rüstungsexportpolitik, die sich der Rüstungsindustrie derart unterwirft, unterminiert alle Anstrengungen um Abrüstung. Sie verschließt die Augen vor den verheerenden Folgen der weltweiten Aufrüstungsspirale für Sicherheit und Frieden in der Welt. Sie ist unmoralisch und verantwortungslos. Abrüstung ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen Sicherheits- und Friedenspolitik und muss daher industriepolitische Absichten übertrumpfen.

Ich stimme dem Minister zu: Nukleare Abrüstung darf nicht zu konventioneller Aufrüstung führen. Aber gerade deshalb müssen wir auch an die Rüstungsexporte heran. Mit anderen Worten: Konsequente und ehrliche Abrüstungspolitik erfordert eine restriktive Rüstungsexportpolitik und effektive Rüstungskontrolle. Dazu gehört auch, dass der Bundestag im Vorfeld und nicht wie in der bisherigen Praxis unzulänglich und erst im Nachhinein informiert wird. Wir fordern eine unverzügliche Vorlage der Rüstungsexportberichte für 2008 und 2009 und setzen uns für ein parlamentarisches Widerspruchsrecht ein.

Abschließend möchte ich festhalten: Unser heutiges Bekenntnis für ein atomwaffenfreies Deutschland und eine atomwaffenfreie Welt ist ein erster wichtiger Schritt. Die Einigkeit in dieser Frage über die Parteigrenzen hinweg ist hierfür ein vielversprechender Lichtblick. Wir Grüne wollen eine nachhaltige Sicherheits- und Friedenspolitik, zu der eine konsequente Abrüstungspolitik untrennbar dazugehört. Und mehr grünes Licht vertreibt auch die hier noch bestehenden Schatten.

Vielen Dank.