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Reden und Videos

Jahresbericht 2009 des Wehrbeauftragten

16.12.2010

Rede zum Jahresbericht 2009 des Wehrbeauftragten

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Königshaus, ich möchte Ihnen genauso wie Ihrem Vorgänger, Reinhold Robbe, im Namen meiner Fraktion danken. Ich möchte aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die die Vielzahl der Eingaben bearbeiten und ihre Aufgabe engagiert erfüllen.

Der vorliegende Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2009 nimmt die Situation der Soldatinnen und Soldaten und der Bundeswehr insgesamt in den Blick  sachlich, klar und differenziert. Das Parlament und die Regierung sind aufgefordert, diesen Bericht nicht einfach nur zur Kenntnis zu nehmen; wir müssen ihn auch als Aufforderung zum Handeln verstehen.

Eine Funktion des jährlichen Berichtes des Wehrbeauftragten ist die Herstellung von Aufmerksamkeit  Aufmerksamkeit für den Zustand der Bundeswehr und die Situation der Soldatinnen und Soldaten; denn die Bundeswehr ist kein Staat im Staate, und sie soll es auch nie werden. Gleichzeitig haben wir eine besondere Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten. Der jüngste Versuch des Verteidigungsministers, diese notwendige Aufmerksamkeit herzustellen, ging allerdings fehl. Es ist doch vollkommen klar: Mit einer Aktion wie diesem Truppenbesuch mit Gattin und Talkmaster wird die Aufmerksamkeit von der schwierigen Situation in Afghanistan abgelenkt.

Im Vordergrund stehen schöne Bilder des Ehepaares zu Guttenberg. Im grellen Blitzlichtgewitter aber verblassen Probleme, Sorgen und Nöte. Das kann nicht im Sinne der Soldatinnen und Soldaten sein. Die Intention mag richtig gewesen sein, diese Inszenierung aber war unangemessen.

Gewisse Themen haben für eine bestimmte Zeit Konjunktur. Doch kaum rutschen diese Themen von den vorderen Seiten der Zeitungen, scheint auch der Handlungsdruck nachzulassen. Als dieser Bericht vorgestellt wurde, dominierten die Personalprobleme im Sanitätsdienst generell die Debatte. Die Personallücken dort haben gravierende Folgen.

Es geht beim Sanitätsdienst auch um die psychologische und psychiatrische Betreuung der Bundeswehrangehörigen. Ein anderes Thema, das vor einiger Zeit Konjunktur hatte, nun aber viel zu wenig Aufmerksamkeit genießt, ist die steigende Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die unter einer einsatzbedingten Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Ich freue mich, dass eigentlich alle Redner und Rednerinnen vor mir dieses wichtige Thema angesprochen haben. Die Soldatinnen und Soldaten, die davon betroffen sind, sind auf psychologisch gut ausgebildetes Personal und eine qualifizierte psychotherapeutische Behandlung angewiesen. Ich halte es für falsch und gefährlich, dass das Verteidigungsministerium in seiner Stellungnahme beschönigend so tut, als sei in diesem Bereich alles Nötige bereits getan.

Das ist Realitätsverweigerung. Die Maßnahmen, die das Verteidigungsministerium für den Sanitätsdienst bisher ergriffen hat, greifen zu kurz oder wirken zu langsam. Entscheidend wird sein, was im Zuge der Bundeswehrreform in Sachen Sanitätsdienst geschieht.

Natürlich müssen die Bundeswehr und der Verteidigungshaushalt insgesamt einen Beitrag zur Erreichung der Sparziele leisten. Doch die Koalition schafft es derzeit nicht, im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform ein Gesamtpaket zu schnüren, mit dem auch nur geringe Einsparungen erreicht werden. Am Ende stehen wir wieder vor der Frage: Was kann sich die Bundeswehr noch leisten? Ich befürchte, dass es dann bei den Fürsorgeleistungen Abstriche geben wird, statt diese zu verbessern. Darum kann ich die Entscheidung für eine Truppenstärke in einer Größenordnung von 185.000 Soldatinnen und Soldaten nicht nachvollziehen. Masse auf Kosten von Qualität macht keinen Sinn.

Ein Thema, das in der öffentlichen Debatte in diesem Jahr nur an einer Stelle eine Rolle gespielt hat, ist die Innere Führung. Thematisiert wurde sie nur im Zusammenhang mit den Vorfällen in Mittenwald. Aufmerksamkeit für die Innere Führung brauchen wir aber auch jenseits der negativen Ereignisse und extremen Vorfälle. Ihre Prinzipien binden die Bundeswehr an die Werte unserer Gesellschaft, zuallererst an die Achtung der Menschenrechte. Das ist keine Einbahnstraße: Die Bundeswehr muss nicht nur auf die Gesellschaft schauen, die Gesellschaft muss auch auf die Bundeswehr schauen.

Der Bericht des Wehrbeauftragten ist dafür nur ein Instrument, wenn auch ein sehr wichtiges. Die Tätigkeit des Wehrbeauftragten entbindet nicht von der Verpflichtung zur weiteren und intensiven Auseinandersetzung mit der Bundeswehr und der Inneren Führung. Der Bericht wirft in diesem Zusammenhang bedenkenswerte Fragen auf, über die dringend diskutiert werden muss und die nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen.

Die Einsätze im Ausland sind in vielerlei Hinsicht  auch im Hinblick auf die Innere Führung  eine besondere Herausforderung. Hier stellen sich ebenfalls Fragen, die wir nicht ignorieren dürfen. Werden die Prinzipien der Inneren Führung in der Einsatzsituation umgesetzt? Was bedeuten zum Beispiel die multilateralen Zusammenhänge in den Einsätzen für die Innere Führung? Dies sind einige Entwicklungen, die es zu begleiten gilt, auch weit über die Vorlage des Berichtes des Wehrbeauftragten hinaus.

Lassen Sie mich abschließend noch auf einen letzten Punkt zu sprechen kommen. Manche Zeitgenossen kritisieren gerne diejenigen, die Kritik üben. So manches Mal wurde beispielsweise gegen die Kritik an der Strategie in Afghanistan die Behauptung ins Feld geführt, mit Kritik würde die Solidarität mit den Soldatinnen und Soldaten unterlaufen. Dabei ist es gerade für die Soldatinnen und Soldaten ungeheuer wichtig, dass kritisch gefragt wird, ob eine Strategie funktioniert oder nicht.

Adressat solcher kritischen Fragen sind nicht die Soldatinnen und Soldaten, sondern in erster Linie die politische und militärische Führung. Das mag für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, unbequem und unangenehm sein, aber das müssen Sie aushalten. Kritische Stellungnahmen und Fragen zu den Einsätzen werden Sie sich von meiner Fraktion auch weiterhin gefallen lassen müssen.

Vielen Dank.