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zum Fasnet-Feiern in Zeiten von Krieg und Krise

Darf man in diesen Zeiten von Krieg und Krise eigentlich überhaupt Fasnet feiern? Ich hatte selbst kurz ein Störgefühl, als die erste Einladung eingetrudelt ist und auch als ich ein Bild von der Fasnet posten wollte. Diese Frage habe ich deshalb für mich reflektiert und komme zum Schluss: ja, man darf. Und es ist auch keine Option, hinzugehen und das in den Sozialen Medien zu verheimlichen.

Die Frage etwas länger zu beantworten, ist mir ein Herzensanliegen.

Seit ich 2009 in den Bundestag gewählt bin, gab es keinen Tag, auch nicht am Wochenende und am Urlaub, wo ich mich nicht mit den Themen von Krieg und Frieden zumindest gedanklich beschäftigt habe und das gilt seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die unschuldige Ukraine nur umso mehr.

Als jemand, die in den letzten Jahren weltweit viele Kriegsgebiete besucht hat, viel mit geflüchteten Menschen und auch an der Seele und am Körper verwundeten Kriegsopfern und Soldat*innen gesprochen hat, bin ich mir absolut bewusst, wie gut es uns trotz aller Probleme, Herausforderungen und Krisen geht. Als jemand, die aber auch viele soziale Einrichtungen besucht hat, weiß ich auch, dass das nicht bedeutet, dass es nicht auch in unserer Gesellschaft viele Menschen mit großen Nöten gibt. Ich bin im Ruhrpott aufgewachsen und daher weiß ich auch, dass es uns hier in Oberschwaben besonders gut geht und andere Regionen in unserem Land mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen haben.

Aber wenn wir uns deshalb selbst jedes bisschen an Freude, Spaß versagen, geht es noch niemandem in unserem Land und auf der Welt besser. Im Gegenteil: ich denke, viele Menschen schöpfen aus diesen Momenten die Kraft, sich für andere engagieren, und erleben gerade in der Gemeinschaft, dass wir zusammen was schaffen können und doch alle irgendwie Menschen sind. Das gilt für mich ganz persönlich auch gerade für die vielen Feste und Versammlungen, zu denen ich hier in der Region als Abgeordnete eingeladen werde. Außerdem bereichern all die Gespräche, Hinweise und Rückmeldungen auf diesen Anlässen, die ganz anders sind, als sie sich bei klassischen politischen Veranstaltungen ergeben, meine Arbeit im Bundestag ungemein. Hier kommen sich die gewählten Vertreter*innen aller politischen Ebenen und die Bürger*innen oft irgendwie echter näher.

Ich liebe meine Wahlheimat Oberschwaben aus vielen Gründen und hab sie mir ganz bewusst ausgesucht. Ich bin, auch wenn ich schon über zehn Jahre hier lebe, immer wieder beeindruckt über den Zusammenhalt und die Gemeinschaft, über das große Engagement der Menschen für ihre Region und mir gefällt diese Heimatverbundenheit, die nicht ausschließt, sondern sich immer wieder herzlich und weltoffen zeigt.

Und das gilt auch besonders für die Fasnet, gerade die komplexen und die lang gewachsenen Traditionen der schwäbisch-alemannischen Fasnet. Jedes Jahr lerne ich da auch mehr dazu und finde es auch einfach sehr interessant. (Aus Dortmund kenn ich nur sehr oberflächlichen Karneval aus der Kindergarten- und Schulzeit, wo man sich verkleidet und halt so ein bisschen feiert.)

Was mir immer wieder auffällt, dass mir in den Zünften und zahlreichen Gruppen dauernd Menschen begegnen, die ich aus dem normalen Leben und der politischen Arbeit vor Ort gut kenne. Weil sie sich eben nicht nur für das Feiern engagieren, sondern gleich in der Regel ehrenamtlich noch in zahlreichen anderen Vereinen und Projekten unterwegs sind und mit viel Herzblut ihre Freizeit dazu nutzen, zu helfen, etwas besser und schöner werden zu lassen. Davor habe ich Riesenrespekt und dafür auch große Dankbarkeit, denn diese Menschen machen unser Oberschwaben so schön und liebenswert. Sie organisieren den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, in der es übrigens nicht viele und definitiv zu wenig Anlässe wie die Fasnet oder auch all die anderen Feste hier gibt, wo von ganz klein bis ins hohe Alter Menschen etwas gemeinsam machen. Und gerade in den Jahren der Pandemie haben wir alle erlebt, wie sehr uns die Orte der gemeinsamen Begegnung fehlen. Ich hab das heute echt richtig für mich nochmal gespürt, als die Lumpenkapelle mit ihren Räuber*innen und großartiger Musik einmarschiert ist. Und auch nicht zu vergessen, wie viel intensive und lange Arbeit hinter solchen Sprüngen, Bällen und Versammlungen für diejenigen aus Stadt und Vereinen steckt, damit alle feiern können.

Das alles hab ich auch am Wochenende in Baindt wieder erlebt. In der Regel finden vor den Narrensprüngen (so heißen bei uns in Oberschwaben die Umzüge) Zunftmeisterempfänge statt, wo sich auch die Vertreter*innen der anderen Zünfte, die mitlaufen, gegenseitig Geschenke machen und die ein oder andere Aufführung präsentiert wird. Ein Verein hat am Wochenende zum Beispiel gesagt: wir verteilen leider keine Geschenke, weil wir stattdessen Geld für die Menschen in der Ukraine spenden. Und auch in einigen Reden wurde die Frage, ob man denn in diesen Zeiten feiern dürfte, wie ich finde sehr angemessen und sehr reflektiert gestellt.

Dann höre und lese ich manchmal, dass sowas wie Fasnet nicht nur altbacken, sondern auch sexistisch und rassistisch sei. Darauf würde ich antworten: Sexismus und Rassismus gibt es in unserer Gesellschaft leider überall und Tag für Tag. Und wir sollten das einfach überall bekämpfen. Ich hab selbst über Jahre einige wenige Momente gehabt, wo ich das auf der Fasnet beobachtet habe (also in der Politik und Unternehmen deutlich häufiger, gerade in meinem Politikbereich) und mit den Jahren immer weniger, sondern auch hier einen reflektierten Umgang und da, wo es nötig war, deutliche Kritik gesehen. Ich muss auch zugeben, ich hab durchaus auch selbst einen deftigen Humor und bin auch nicht immer „politisch perfekt korrekt“, aber ich bemühe mich immer um Respekt, Wertschätzung und Höflichkeit anderen Menschen gegenüber (Das ist aus meiner Sicht übrigens die richtige Bedeutung von politisch korrekt sein und nichts schlimmes oder supermodernes, was aus Berlin-Kreuzberg kommt, sondern ein sehr altmodische Tugend, aber das nur nebenbei).

Und nicht zuletzt: ich mag das chaotisch-anarchistisch-revolutionäre Gedankengut der Fasnet, das die Machtverhältnisse zumindest ein paar Tage einmal umkehrt und davon ausgeht, dass wir alle gleich sind. Und es ist dringend notwendig, dass die Politik in einer lustig-kritischen Art den Spiegel vorgehalten bekommt und wir mit Humor auf die vielen Anlässe im Stadtgeschehen und in der großen Politik zurückblicken und gemeinsam drüber lachen können, auch wenn wir uns vor einigen Monaten noch furchtbar über irgendwas oder irgendwen aufgeregt haben. Es ist mir immer eine große Ehre, wenn ich von irgendwem gespielt und in Reden veralbert werde. Und in den besten Momenten lernt man auch noch was draus. Ich bin selbst immer noch supernervös, wenn ich selbst solche Reden halten darf oder auch muss, und versuche dann, mich vor allem über mich selbst und die Grünen lustig zu machen, teile aber auch mal gern gegen die CDU aus. Dabei bin ich aber meistens auch sehr politisch. Dieses Jahr schreibe ich zum Beispiel schon an Texten, die mein Herzensprojekt der „Feministische Außenpolitik“ auf die oberschwäbische Fasnet an die Menschen bringen.

Ich liebe es auch, mich zu verkleiden und zu schminken. Auch das ist übrigens etwas, was nicht nur mit Kreativität zu tun hat. Wer mal bereit ist, in andere Rollen zu schlüpfen, kann sich vielleicht auch jenseits von Fasnet mal in die Perspektiven anderer Menschen reinversetzen und mit Empathie Lösungen zu finden, wo verschiedene Blickwinkel erst einmal nicht zusammenkommen.

Falls jemand überhaupt bis hierhin gelesen hat, Respekt und Danke! Ich musste das alles mal loswerden.

(Beim Sprung in Baindt konnte ich dann leider aus Zeitgründen und weil ich mit den fiesen Nachwehen einer heftigen Erkältung kämpfe, leider nicht teilnehmen)

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