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Rede zum Bundeswehreinsatz Resolute Support Mission in Afghanistan

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle haben trotz der Meinungsunterschiede, die es zwischen uns gibt, gehofft, dass die Gewalt nach so vielen Jahren des Leids in Afghanistan endlich ein Ende findet. Die Lage ist zurzeit so düster wie schon lange nicht mehr. In den letzten 15 Jahren haben weder der ISAF-Einsatz mit all seinen unterschiedlichen Phasen, mit Luftbombardierung, Offensiven, Anti-Terror-Maßnahmen und schwerem Gerät, noch die Ausbildungsmission, die dem nachgefolgt ist und über deren Fortsetzung wir heute beraten, die angestrebten Ziele erreicht. 

Es ist notwendig, dass Sie von der Bundesregierung und der Koalition sich ein paar Tatsachen stellen, ihnen ins Auge sehen und ein paar Fragen beantworten. Welches sind Ihre Kriterien für ein Ende, einen Erfolg bzw. einen Exit bei diesem Ausbildungseinsatz, der einmal auf zwei Jahre angelegt war, nun aber viel länger laufen soll und dessen Schwerpunkte von reiner Ausbildung Richtung Unterstützung und Begleitung verschoben werden? Außer Hinhalteparolen hört man nicht besonders viel. Was hier fehlt, ist ein realistisches Konzept. Wie kann denn die Ausbildung von Sicherheitskräften überhaupt gelingen, wenn eine Regierung durch Zerrissenheit und Klientelpolitik einen Großteil des Vertrauens in der Bevölkerung verspielt hat? Wenn es keine gute politische Führung gibt, dann kann auch die Ausbildung von Sicherheitskräften keinen Erfolg haben. Frau Ministerin, Sie selbst haben das gerade angesprochen. Aber ich hatte in den letzten Monaten den Eindruck, dass man immer, wenn man nachgefragt hat, wie die Bundesregierung zum Beispiel darauf reagiert, dass es über Monate hinweg keinen Verteidigungsminister in Afghanistan gab, nur ein Schulterzucken geerntet hat. Wie reagieren Sie darauf, dass es trotz langjähriger intensiver Ausbildungsbemühungen immer wieder Hinweise - und zwar nicht allzu wenige - auf Korruption, Desertation und Gewalt innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte gibt oder dass es immer wieder zu gravierenden militärischen Fehlentscheidungen kommt? Was ist Ihre Antwort darauf, dass nach wie vor die schlimmsten Menschenrechtsverletzer und Warlords die Bevölkerung drangsalieren und unterdrücken? Hier kann doch nicht das Prinzip gelten: Der Feind unseres Feindes, der Taliban, ist unser Freund. 

All das sind doch riesige Probleme und ist eine riesige Hürde für eine friedliche Zukunft in Afghanistan; denn das beschert den Taliban Zulauf. Aber bei allen Fragen bleibt die Bundesregierung Antworten schuldig. Es gibt große Leerstellen. Stattdessen legen Sie Jahr für Jahr ein Mandat vor und vermitteln uns den Eindruck: Nur noch ein bisschen länger und nur noch ein bisschen mehr, dann wird es endlich besser! - Das ist sehr dürftig, und, ehrlich gesagt, mir fehlt da der Glaube.

Sicherlich hat das mit Ignoranz zu tun; aber ich glaube, es hat auch mit einer gewissen Rat- und Hilflosigkeit zu tun. Ich sage ganz ehrlich: Diese Rat- und Hilflosigkeit spüre ich auch selbst als jemand, der, wie viele meiner grünen Kolleginnen und Kollegen, gegen die Mandate gestimmt hat. Niemand hat den Masterplan, wie man Frieden, Stabilität und Sicherheit in den nächsten Jahren in Afghanistan mit Sicherheit schaffen kann. Aber aus meiner Sicht gibt es drei Schlussfolgerungen, die man ziehen kann, wenn man trotz der deprimierenden Lage im Land die Menschen nicht alleine lassen will und wenn man möchte, dass das langjährige, auch durchaus schwierige und umstrittene Engagement nicht vergebens sein soll. 

Erstens ist eine ehrliche und kritische Bilanz dieser Militäreinsätze mehr als überfällig. Die Bundesregierung darf sich hier nicht weiter wegducken. Nicht nur wir Grüne fordern das seit Jahren; das haben auch andere Kolleginnen und Kollegen immer wieder eingefordert. Aber dann haben wir vor kurzem aus der Presse erfahren, dass im März 2015 ein Bericht im Verteidigungsministerium geschrieben wurde   Nachbetrachtung Afghanistan-Einsatz  , der unter Verschluss gehalten wurde. Ich muss sagen: Die Debatte muss hier im Parlament geführt werden. Wir müssen uns damit beschäftigen, wenn man aus Fehlern für die Zukunft lernen will. Sie können Ergebnisse nicht unter den Teppich kehren, nur weil sie Ihnen nicht genehm sind.

Dazu gehört auch die Frage, was man mit einem solchen Einsatz realistisch überhaupt erreichen kann. Ich denke, es ist für das zukünftige Engagement extrem wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Zweitens. Ja, es ist nicht alles schlecht in Afghanistan. Deutschland hat in den Bereichen Wiederaufbau, Entwicklungszusammenarbeit oder auch Bildung durchaus viel geleistet. Das muss weitergehen, und das muss gestärkt werden; denn das ist das, was den Menschen in Afghanistan neue Hoffnung und Zukunftsperspektiven gibt. 

Bei meiner dritten Schlussfolgerung sind wir Grüne ganz klar in Opposition zur Bundesregierung. Sie widersprechen sich an dieser Stelle wirklich massiv selbst. Eine halbe Million neuer Binnenvertriebener ist gerade von den Vereinten Nationen in Afghanistan registriert worden. Das zeigt die Dramatik der Lage. Einerseits erklären Sie uns hier, dass es so schwierig und gefährlich in Afghanistan ist und man deshalb den Militäreinsatz verlängern muss. Andererseits sprechen Sie von sicheren Zonen, wollen Abschiebungen und Rückführungen verstärken und verfolgen obendrein die Strategie, dass es nur dann, wenn Afghanistan mehr Flüchtlinge zurücknimmt, in Zukunft Entwicklungszusammenarbeit gibt. Meine Damen und Herren, das passt vorne und hinten nicht zusammen. Das ist zynisch und herzlos. So lässt man die Menschen in Afghanistan nämlich wirklich allein.

Vielen Dank.