Agnieszka Brugger agnieszka-brugger.de
Reden und Videos
Rede zum fünfzehnten Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes
Dieses Gesetz schafft rechtliche Klarheit für den Status des freiwilligen Wehrdienstes. Der Abschied von der Wehrpflicht wird damit weiter vollzogen, und dafür war es allerhöchste Zeit. Es bleibt dabei: Mit dem Ende des Kalten Krieges war die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr verfassungsgemäß zu rechtfertigen, für die Abschaffung haben wir Grüne uns daher schon lange eingesetzt. Andere, und gerade Sie, meine Damen und Herren in der Union, haben für diese Einsicht ziemlich lange gebraucht. Aber besser spät als nie.
Es handelt sich heute also um ein wichtiges Gesetz. Dennoch ist die Abstimmung keine reine Formsache. Das Gesetz enthält eine Regelung, der wir heute nicht zustimmen wollen: die Weitergabe der Meldedaten Siebzehnjähriger an das Amt für Personalmanagement der Bundeswehr zum Zwecke der Nachwuchswerbung. Dieser Eingriff in die Grundrechte der Jugendlichen ist nicht gerechtfertigt; darum werden wir uns bei diesem Gesetz enthalten – der Entscheidung zur Aussetzung der Wehrpflicht haben wir Grüne ja bereits an anderer Stelle zugestimmt, gerade weil es eine jahrelange grüne Forderung war.
Grundsätzlich schaffen wir mit Rechtsakten wie diesen nur das rechtliche Gerüst für den Umbau der Bundeswehr. Dieser Umbau verlangt aber viel mehr als nur einen ordentlichen rechtlichen Rahmen. Er ist weder mit dieser Gesetzgebung getan noch mit der Gestaltung der Stationierung, der Struktur des Ministeriums und der Teilstreitkräfte und der Verteilung der Zuständigkeiten. So müssen wir auch über die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und die Beziehung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr sprechen. Als ein rein rechtliches und strukturelles Gerüst wird diese Reform nicht gelingen.
Aus aktuellem Anlass will ich mein Augenmerk heute besonders auf die Beziehung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr richten. Gegen die Aussetzung der Wehrpflicht wurde immer wieder die Sorge um die gesellschaftliche Anbindung der Bundeswehr angeführt. Das war natürlich Quatsch. Die Wehrpflicht war nicht der letzte Anker, der die Bundeswehr in der Gesellschaft gehalten hat. Jede Soldatin und jeder Soldat ist auch Teil der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit schaut vor allem dann genau auf die Bundeswehr, wenn einerseits – wie in dieser Woche auf dem Schnellboot Hermelin – massive Verfehlungen bekannt geworden sind, und andererseits, wenn es im Einsatz zu einem tödlichen Ereignis kam. Das ist beides auch richtig, aber nicht genug.
Wie ist es um die alltägliche Beziehung zwischen Bundeswehr und ziviler Gesellschaft bestellt? Geht es nach dem Verteidigungsminister, erwartet die Bundeswehr derzeit zu viel von der Gesellschaft. Herr de Maizière hat diese These von der Gier der Soldatinnen und Soldaten nach Anerkennung in den Raum gestellt. Wenig glückliche Worte hat er für seine Kritik gewählt, und ich glaube, er hat das Bedürfnis der Soldatinnen und Soldaten auch nicht richtig verstanden. Die grüne Bundestagsfraktion hat in der vergangenen Woche mit Vertreterinnen und Vertretern ziviler und militärischer Organisationen über ihre Erfahrungen und die Frage der Anerkennung nach durchaus auch gefährlichen Einsätzen im Ausland diskutiert. Bei dieser gut besuchten Veranstaltung ist etwas sehr deutlich geworden: Wenn von Anerkennung die Rede ist, geht es nicht um schillernde Symbole wie Gedenktage oder Medaillen und ganz sicher auch nicht um unkritischen Jubel. Reine Symbolpolitik gerät ohnehin schnell zu hohlen Floskeln. Angemessene Absicherung und Fürsorge sind dagegen wichtige und entscheidende Elemente, aber allein treffen sie auch noch nicht den Kern. Der Begriff, den viele – Zivile wie Militärs – in unserem Fachgespräch genannt haben, lautet „Wahrnehmung“.
Die Menschen, die in Auslandseinsätze gehen, machen besondere Erfahrungen, die unserer Gesellschaft hier völlig fremd sind. Diese Erfahrungen sind oft persönlichkeitsprägend, und die Einsatzkräfte bringen sie mit zurück. Wenn von Anerkennung die Rede ist, geht es erst mal darum, das überhaupt wahrzunehmen. Leider gibt es in der Tat Beispiele dafür, dass das nicht hinreichend stattfindet. Im Falle der Bundeswehrangehörigen bekomme ich zum Beispiel immer wieder erzählt, dass die Bundeswehrführung ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Einsatz aus ihrer Sicht gar nicht nutzen will. Und wie lang hat es gedauert, bis die Bundesregierung bereit war, anzuerkennen, dass der Einsatz auch psychische Folgen bis hin zum Ausbilden einer posttraumatischen Belastungsstörung nach sich ziehen kann! Davon wollten viele in der Bundeswehrführung erst gar nichts hören.
Wenn der Umbau der Bundeswehr zu einer kleineren Freiwilligenarmee gelingen soll, wenn wir die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft halten wollen, müssen wir auch an der Beziehung zwischen Bundeswehr und ziviler Gesellschaft arbeiten. Eine solche Auseinandersetzung kann sicher nicht ersetzt werden durch leere Symbolpolitik, vielmehr geht es um einen ehrlichen, offenen und kritischen Diskurs. Wir brauchen eine breite und kritische Auseinandersetzung über die Einsätze, die künftigen Aufgaben der Bundeswehr und die Grenzen des Militärischen – auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und nicht irgendwelchen Beleidigungen.