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Wehrrechtsänderungsgesetz 2011

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Eine Frage der Ehre“: So wirbt das Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin in der U-Bahn um Nachwuchs. In der Tat: Mit der Aussetzung der Wehrpflicht ist eine entscheidende Frage verbunden: Wer kommt zukünftig zur Bundeswehr - sind es die Menschen mit dem Charakter und den Fähigkeiten, die wir uns dort wünschen? Mit der Antwort auf diese Frage wird die Bundeswehrreform, deren zentraler Baustein die Aussetzung der Wehrpflicht ist, scheitern oder gelingen.

Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen die Menschen in der Bundeswehr ihrem Dienstherrn aber vertrauen können. Sie müssen glauben können, dass er weiß, was er tut, und dass er zu dem steht, was er sagt.

Herr Minister zu Guttenberg, wie die Menschen Ihnen jetzt noch vertrauen sollen, weiß ich wirklich nicht. Was Sie gestern hier abgeliefert haben, war alles andere als eine Sache der Ehre. Im System Guttenberg hat eine Aussage wenig Wert. Sie sagen selbst: Ihre Maßstäbe sind Klarheit und Wahrheit. Allerdings hat Ihre Klarheit ein sehr begrenztes Haltbarkeitsdatum, und Ihre Wahrheit von heute ist Ihre Unwahrheit von morgen. Im System Guttenberg war ein Tanklasterbombardement an dem einen Tag unvermeidlich und am anderen Tag ein Fehler. Der Kapitän der „Gorch Fock“ wird an dem einen Tag nicht vorverurteilt, am nächsten entpflichtet und am übernächsten aus Fürsorge beschützt.

An dem einen Tag sparen Sie durch die Bundeswehrreform Milliarden; am anderen Tag brauchen Sie zusätzliche Milliarden, um die Reform durchführen zu können. Im System Guttenberg halten Sie an dem einen Tag an der Wehrpflicht fest und schaffen sie am nächsten Tag ab.

Das Wort gilt im System Guttenberg nicht. Stattdessen gilt das Vorrecht des Verteidigungsministers, einen Betrug zu begehen, ohne die Konsequenzen zu tragen. Schneiderhan, Wiechert, Schatz: Bei anderen sind Sie sehr schnell dabei, Konsequenzen zu ziehen, nur bei sich selbst nicht.

Sie kleben bis zur maßlosen Selbsterniedrigung an Ihrem Amt. Ihr Schauspiel seit dem letzten Mittwoch war ziellos und würdelos. Für mich war der vorläufige Gipfel der Unverschämtheiten gestern erreicht, als Sie Ihren Umgang mit Fehlern noch als Vorbild verkaufen wollten.

Wie sollen Ihnen die Menschen in der Bundeswehr noch vertrauen? Wie sollen sie Ihnen noch folgen? Dass die Wehrpflichtarmee sicherheitspolitisch die falsche Wehrform ist, war nämlich schon lange klar. Seit Jahren fordern wir Grünen die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes. Auch hier haben Sie abgekupfert. Aber anders als bei Ihrer Doktorarbeit kritisieren wir Sie hier nicht für die Aussetzung der Wehrpflicht, wohl aber für die Umsetzung.

Ihre Einsicht in die Notwendigkeit, die Wehrpflicht abzuschaffen, beruht eben nicht auf sicherheitspolitischen Überlegungen. Ihre Entscheidung für die Freiwilligenarmee ist keine aus Überzeugung, sondern eine aus Geldnot. Statt von Anfang an das Richtige zu tun, haben Sie mit der Wehrdienstverkürzung auf sechs Monate ein Jahr verplempert. Diese Zeit fehlt Ihnen heute.

Lieber Herr Gabriel, die Reform zu verschieben, kann auch keine Lösung sein; denn sie kommt eher zu früh als zu spät.

Bei dem gesamten Umbauprozess haben Sie, Herr Minister, das Pferd von hinten aufgezäumt. Wenn man einen grundlegenden Wandel vornimmt, sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass man zuallererst überlegen muss, welches Ziel man erreichen will. Der gesamte bisherige Prozess der Bundeswehrreform folgt keiner Logik. Wenn Sie logisch und überlegt vorgegangen wären, hätten Sie zuallererst die Frage beantwortet, welche Aufgaben und Grenzen das Militärische in der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands zukünftig haben soll. Doch diese Frage haben Sie sich nicht einmal gestellt. Damit machen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten.

Ein weiterer Schritt eines solchen Reformprozesses ist die Frage der Kosten und der verfügbaren Finanzmittel. Ganz Musterknabe haben Sie bei den Verhandlungen über das Sparpotenzial bei der Bundeswehr vollmundig Einsparungen in Höhe von rund 8 Milliarden Euro in den nächsten Jahren versprochen. Nun fordern Sie sogar mehr Geld für die Bundeswehrreform, können aber auch auf wiederholte Nachfragen nicht sagen, wie viel genau.

Der letzte Schritt einer solchen Reform ist die Umsetzung. Mit dieser haben Sie jetzt allerdings schon begonnen, noch ehe das Gesetz das Parlament überhaupt erreicht hat. Um Ihre volltönenden Ankündigungen wahr zu machen, musste die Aussetzung der Wehrpflicht nun im Hauruckverfahren erfolgen. Im Dezember haben Sie, Herr Verteidigungsminister, bereits die Anweisung erteilt, wonach in dieser Woche die letzten Wehrpflichtigen ihren Dienst angetreten haben.

An dieser Stelle möchte ich allen jungen Menschen danken, sowohl denen, die in den letzten Jahrzehnten Wehrdienst und Zivildienst geleistet haben, als auch den vielen, die sich für ein Freiwilliges Soziales, Ökologisches oder Kulturelles Jahr entschieden haben.

Doch selbst mit dem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, sind noch lange nicht alle Herausforderungen rund um die Aussetzung der Wehrpflicht geregelt. Von der Nachwuchsgewinnung über die Ausbildung bis zur Verwendung der freiwilligen Wehrdienstleistenden sind noch unzählige Fragen offen, die beantwortet werden müssen.

Unzählige Beispiele zeigen, dass nicht nur das Wort des Herrn Doktor zu Guttenberg, sondern auch das Wort des Verteidigungsministers zu Guttenberg nichts wert ist, zum Schaden für die Bundeswehr, die bis heute nicht weiß, ob all Ihre großartigen Vorschläge überhaupt nur im Ansatz finanzierbar sind und ob Sie die auch morgen noch vertreten.

In den vergangenen Tagen wurde aus den Reihen der Union immer wieder gesagt, Sie würden Ihr Amt als Verteidigungsminister so gut führen, dass man Ihnen persönliche Verfehlungen nachsehen müsse. Die derzeit größte Herausforderung für die Bundeswehr  die Reform ebendieser  ist nur ein Beispiel dafür, dass diese Verteidigungslinie  verzeihen Sie mir das Zitat  „abstrus“ ist.

Herr Verteidigungsminister zu Guttenberg, Sie sind ein Pfuscher. Sie haben nicht nur bei Ihrer Doktorarbeit gepfuscht. Sie sind gerade dabei, die Aussetzung der Wehrpflicht und die ganze Bundeswehrreform zu verpfuschen.

Vielen Dank.