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Zweite Lesung Wehrrechtsänderungsgesetz 2011

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Herr Minister de Maizière, ich wünsche Ihnen für die Ausübung Ihres neuen Amtes viel Glück und Erfolg. Ihr Vorgänger hat Ihnen mit der Bundeswehrreform eine große Herausforderung vermacht. Allerdings hat er Ihnen auch das ganze Chaos vererbt, das er angerichtet hat. Wenn man sich die Reform als ein Haus vorstellt, kommt einem das Bild einer Baustelle in den Sinn, auf der nichts an Ort und Stelle ist. Die Baupläne sind nur grobe Skizzen, und die Handwerker wissen noch nicht einmal, wie viele Quadratmeter das Gebäude schließlich haben soll.

Herr Verteidigungsminister, Sie müssen sich heute noch nicht die volle Verantwortung für die bisherigen Fehler zu eigen machen. Doch Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Koalition müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie schon bei der Schaffung des krummen und schiefen Rohbaus dabei waren.

In der Expertenanhörung in der vergangenen Woche wurden nicht nur die zahlreichen Fehler im Wehrrechtsänderungsgesetz thematisiert. Ein ganz grundlegender Mangel dieses Reformschritts kam wiederholt zur Sprache. Die Bundesregierung hat darauf verzichtet, vor der Reform über heutige und zukünftige Aufgaben, Fähigkeiten und Grenzen der Bundeswehr zu sprechen.

Das Fundament der Baustelle Bundeswehrreform ist noch viel zu schwach. Nicht zuletzt wurde in der Anhörung aber auch deutlich, dass etliche Rahmenbedingungen für die Aussetzung der Wehrpflicht noch gar nicht geklärt sind. Attraktivität des Dienstes, Nachwuchsgewinnung, Ausbildung und Verwendung der freiwillig Wehrdienstleistenden sind Stichworte für ungelöste Probleme. Wir brauchen hier schnell Antworten. Trotzdem wird mit der Verabschiedung dieses Gesetzes heute ein notwendiger und historischer Schritt vollzogen.

Wir Grüne haben seit Jahren eine Bundeswehr ohne Wehrpflicht gefordert, und wir hatten und haben dafür gute Gründe. Die allgemeine Wehrpflicht war sicherheitspolitisch schon lange nicht mehr begründbar. Der erhebliche Eingriff in die Freiheitsrechte junger Männer ist nicht mehr zu rechtfertigen gewesen. Doch die Union und auch die SPD haben viel zu lange an dieser überkommenen Wehrform festgehalten. Weniger als die Hälfte aller jungen Männer eines Jahrgangs hat zuletzt Wehr- oder Zivildienst geleistet. Die Wehrpflicht ist nicht nur sicherheitspolitisch ungerechtfertigt. Sie war auch höchst ungerecht.

Wirklich bitter ist aber, dass Sie so unendlich viel Zeit und Ressourcen für nichts verplempert haben. Noch im April 2010 haben wir Grüne im Bundestag einen Antrag gestellt, in dem wir von der Bundesregierung gefordert haben, ein schlüssiges, tragfähiges sicherheitspolitisches Konzept vorzulegen, mit dem die Bundeswehr ihren Auftrag ohne Rückgriff auf die Wehrpflicht erfüllen kann. In der namentlichen Abstimmung haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, diesen Antrag abgelehnt. Damals dachte ich, Sie würden krampfhaft an der Wehrpflicht als Relikt des Kalten Krieges festhalten. Heute beschleicht mich manchmal der ungute Verdacht, dass sich Ihre Stimmen vor allem gegen die Forderung gerichtet haben, ein Konzept zu entwickeln. Denn rund acht Monate später hat das Kabinett die Aussetzung der Wehrpflicht beschlossen, ohne Konzept.

Sie haben auch viel Zeit und viele Mittel für die sinnlose, wirklich völlig vernunftwidrige Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate verschwendet. Aus finanziellen Gründen musste die Wehrpflicht dann doch weichen. Auf einmal fiel auch Ihnen ein, dass die Wehrpflicht sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar ist. Dann musste alles ganz schnell gehen. Heute beraten wir deshalb über ein unausgegorenes Gesetz. Das zeigen auch die zahlreichen Korrekturen der Koalitionsfraktionen an dem ersten Entwurf. Diese Änderungen beseitigen zwar einige Fehler, aber viele Kritikpunkte bleiben.

Da wäre zum Beispiel die fehlende Altersgrenze für den freiwilligen Wehrdienst. Der Entwurf schließt den Dienst Minderjähriger nicht ausdrücklich aus, auch wenn bestimmte Grenzen gezogen werden. Deutschland kämpft international aber gegen den Einsatz und die Rekrutierung von Kindersoldaten. Wir haben das Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten 2004 ratifiziert. Dieses Engagement ist nur glaubwürdig und kann nur glaubwürdig sein, wenn wir bei unserer eigenen Armee konsequent sind. Deshalb fordern wir in unserem Änderungsantrag den Bundestag dazu auf, beim Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten in der Bundeswehr Konsequenz zu zeigen.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die Erhebung personenbezogener Daten der 17-Jährigen bei den Meldebehörden und die Speicherung dieser Daten für ein Jahr. Die massenhafte Datensammlung soll zum Zwecke der Werbung für den freiwilligen Wehrdienst eingeführt werden. Dieser Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung minderjähriger Frauen und Männer ist unverhältnismäßig. Ich wundere mich schon sehr, dass die FDP dem zustimmt. Sonst schreiben Sie sich den Datenschutz doch auch groß auf Ihre Fahne.

In dem zweiten Punkt unseres Änderungsantrags ‑ dem können Sie zustimmen ‑ fordern wir den Verzicht auf diese Datensammlung.

Der Zeitdruck, die Fehler, das Chaos ‑ auf der Baustelle der Bundeswehrreform wurden die ersten Elemente des neuen Hauses errichtet. Aber nicht nur das Fundament ist rissig, auch die Wände sind bisher noch sehr wacklig. Leidtragende dieses Pfuschs am Bau sind am Ende die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Bundeswehrangehörigen und die betroffenen jungen Menschen. Herr Minister, wir werden weiterhin sehr kritisch begleiten, wie es mit der Reform weitergeht, und wir hoffen, dass Sie als neuer Bauherr systematischer und gründlicher sind als Ihr Vorgänger. Es müssen dringend Nachbesserungen zu diesem Gesetz vorgenommen werden. Deshalb freue ich mich auch über die angekündigte Evaluation. Mit der Zustimmung zu unserem Änderungsantrag könnte der Bundestag heute schon zwei Probleme abräumen.

Der Abschied von der Wehrpflichtarmee war aber längst überfällig und ist in der Sache völlig richtig. Darum werden wir diesem Gesetz heute trotzdem zustimmen.

Viele der Vorschläge, die wir Grünen seit Jahren auf den Tisch gelegt haben, werden in der Reformdebatte diskutiert und begrüßt. Wir haben nicht nur die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern auch eine Verkleinerung der Armee insgesamt, andere Strukturen und eine andere Beschaffungspolitik gefordert. Aber wenn die nächsten Reformschritte genauso stümperhaft erfolgen, können wir das nicht noch einmal unterstützen. Eine derart mangelhafte Ausfertigung und Umsetzung werden wir nicht noch ein weiteres Mal mittragen, selbst wenn dann die Vorschläge in der Sache richtig sein mögen.

Sie können das auch ohne uns Grüne machen. Es mag Ihnen egal sein, ob Ihre Vorschläge vom Parlament mitgetragen werden oder nicht. Aber wir halten eine breite parlamentarische Unterstützung für die Reform der Parlamentsarmee für notwendig. Denn sie ist eine Voraussetzung für die so oft angemahnte gesellschaftliche Unterstützung.

Wir fordern die Bundesregierung daher eindringlich dazu auf, bei den weiteren Reformschritten eine größere Sorgfalt an den Tag zu legen.

Vielen Dank.